Ersetze das Lithium in den Batteriezellen durch Natrium. So einfach ist die Formel, um das größte Nachhaltigkeits- und Preisproblem der Elektromobilität zu lösen. Sie könnte nicht nur Europa helfen, sich auf dem Batteriezellmarkt unabhängiger von China zu positionieren, sondern auch der europäischen Spitzenforschung neuen Schwung verleihen. Dennoch zögern Wirtschaft und Wissenschaft, die Chance zu ergreifen. Der Batterietechniker Sebastian Büchele und der Chemiker und Wissenschaftsinfluencer Tom Bötticher wollen das mit ihrem Start-Up ändern und Europa einen Vorsprung in der Natrium-Ionen-Technologie verschaffen. Das manifestiert sich schon im Unternehmensnamen Litona, einem englischen Akronym aus den Formelzeichen der Speicherstoffe, das für "from LI (Lithium) to NA (Natrium/Sodium)" steht. Auf den Start als Gründer haben sie sich im Rahmen des ICM Early Ride Programms vorbereitet.
Die junge GmbH steckt gerade mitten in der Pre-Seed-Phase und ist auf der Suche nach Räumen für ihre erstes Labor. Die industrielle Produktion soll bald in oder um Ulm starten. Derzeit können sie nur kleinere Mengen herstellen, die am Karlsruher Institut für Technologie produziert werden. Dort ist Sebastian derzeit noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Angewandte Materialien – Energiespeichersysteme (IAM-ESS) angestellt. Später möchten die Gründer in die Zellproduktion einsteigen. Kurz- und mittelfristig sehen sie ihr Unternehmen aber als chemischen Lieferant von Elektroden und Energiespeicherpulver für Natrium-Ionen-Batterien. Ihr Ausgangsmaterial Preußisch Weiß, dessen Herstellung Sebastian während seiner Forschungsarbeiten optimiert hat, hat eine höhere Energiedichte als andere Materialien für Natrium-Batterien.
Antreiber für Forschung und Entwicklung
"Die eigentliche Innovation, die wir schaffen, ist mehr Unabhängigkeit für den europäischen Markt", erklärt Tom. Die Gründung von Litona trägt dazu bei, Lieferketten für Forschungsinstitute und Entwicklungsabteilungen in Europa aufzubauen. Diesen fehlt es nämlich am Material, was die flächendeckende Weiterentwicklung der Natrium-Ionen-Technologie behindert. Genau deshalb gehen Tom und Sebastian jetzt schon an den Markt und nicht erst dann, wenn ihnen mit einer eigenen Batteriezelle selbst der ganz große Wurf gelingen könnte. "Wir erfinden das Rad nicht neu, wir holen es zurück nach Europa", sagt Sebastian.
Natrium weist im Vergleich zu Lithium eine signifikante Schwäche auf: seine geringere Energiedichte. Theoretisch müssten Natrium-Ionen-Akkus bei gleicher Kapazität deutlich größer sein. Das ist aber nur scheinbar ein großer Nachteil. Nicht jedes zukünftige Mobilitätsangebot muss auf maximale Reichweite getrimmt sein. Gerade für Sharing-Angebote in Städten oder kompakte Zweitfahrzeuge sind kleinere Akkus ausreichend, weil sie nur kurze Strecken zurücklegen und oft geladen werden. Außerdem gibt es einige Stellschrauben, über die der Energiedichte-Nachteil ausgeglichen werden kann – vor allem bei der Konstruktion. Natrium-Batterien sind hitzebeständiger und sicherer als Lithium-Batterien, was größere Einzelzellen ermöglicht und so Material für die Verpackung spart. Sie arbeiten auch bei Kälte besser. Mehr Temperaturresistenz der Zellen führt zu leichteren und kompakteren Temperatur-Management-Systemen. "Damit können Natrium-basierte Akkus die gleiche Energiedichte wie günstige Lithium-Ionen-Batterien erreichen, die in Kleinwagen und Energiespeichern eingesetzt werden", erklärt Tom. Wer über die Energiedichte hinausblickt, findet fast nur noch Vorteile von Natrium als Energiespeichermaterial. Es ist überall verfügbar, sogar auf dem Mars. Es lässt sich leichter und umweltverträglicher gewinnen. Es ist günstiger. Es ist für Schnelladesysteme geeignet.
Noch ist China der führende Akteur im Feld Natrium-Ionen-Technologie. Die Mehrheit der wissenschaftlichen Publikationen stammt von dort. Laut dem Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme sind 90 Prozent der Patente und auch die ersten serienmäßigen Elektroautos chinesischer Herkunft. Letzteres sehen Sebastian und Tom aber eher als Showcases denn als marktreife Produkte. Sie sind überzeugt, dass sich der Vorsprung aufholen lässt, wenn Europa schneller agiert. "Deshalb ist es uns wichtig, damit anzufangen und die Forschung und Entwicklung hier voranzubringen", erklärt Sebastian.